Digitale Inklusion

Digitale inklusion

Damit alle Menschen die Chancen der Digitalisierung nutzen können, sind sowohl der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien als auch die Kompetenzen, diese selbstbestimmt und sicher bedienen zu können, entscheidend. Wie gelingt Inklusion im digitalen Raum? Und wie kann KI dabei unterstützen?

Inklusion heisst, alle Menschen miteinzubeziehen. Der digitale Raum ist demnach nur dann inklusiv, wenn er für alle gleichermassen zugänglich ist und die chancengerechte wirtschaftliche und soziale Teilhabe ermöglicht. Dieser Zugang bedingt gewisse Kompetenzen, also Wissen und Fähigkeiten, mit digitalen Anwendungen und Geräten umzugehen (siehe Kapitel 2 «Digitale Schweiz»). Der DigitalBarometer 2023 hat gezeigt: Im Kontext der Digitalisierung nehmen sechs von zehn Personen den Umgang der Schweiz mit Personen, die mit dem digitalen Wandel nicht mithalten können, als grösste Schwäche wahr. Der diesjährige DigitalBarometer untersucht deshalb, wie es um die digitale Inklusion in der Schweiz steht. Was sind wahrgenommene Risiken einer Exklusion? Bei welcher Bevölkerungsgruppe sieht die Schweizer Bevölkerung Unterstützungsbedarf? Wen sieht sie in der Verantwortung und welche Massnahmen wirken? 

Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir neben der quantitativen Umfrage auch je einen Workshop mit Betroffenen und Expert:innen durchgeführt. Im Fokus dieses Kapitels stehen drei Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer tieferen Kompetenzen das grösste Risiko tragen, nicht mit der Digitalisierung Schritt halten zu können: Menschen mit geringer formaler Bildung, ältere sowie armutsbetroffene Menschen.

Vereinsamung: Die grösste wahrgenommene Gefahr digitaler Exklusion

Die Schweizer Bevölkerung nimmt Vereinsamung als grösste gesellschaftliche Gefahr digitaler Exklusion wahr (34 %). Da Vereinsamung häufig mit dem Älterwerden assoziiert wird, fällt ein weiteres Ergebnis auf: Die Solidarität mit älteren Menschen scheint besonders ausgeprägt. Mit Abstand am meisten Befragte geben an, dass sie den grössten Unterstützungsbedarf bei älteren Menschen sehen, gefolgt von bildungsfernen und armutsbetroffenen Menschen. Auch am «Betroffenen-Workshop», wo bildungsunerfahrene und armutsbetroffene Menschen vertreten waren, zeigte sich diese hohe Solidarität mit der älteren Generation deutlich.

Wahrgenommene gesellschaftliche Gefahren von digitalem Ausschluss

Wie kommt es zu dieser erfreulich hohen Solidarität mit der älteren Generation? Und weshalb ist die Solidarität mit armutsbetroffenen und bildungsfernen Menschen deutlich tiefer? Wir sehen hier drei mögliche Gründe: Erstens betrifft Älterwerden uns alle. Zweitens dürfte zivilgesellschaftliche Sensibilisierungsarbeit, wie z.B. diejenige von Pro Senectute (Seifert, Ackermann und Schelling 2020), in der breiten Bevölkerung Wirkung zeigen. Drittens wird Älterwerden nicht als etwas Selbstverschuldetes angesehen. Dementsprechend ist Älterwerden, im Gegensatz zu Armut und fehlender Bildung, gesellschaftlich nicht stigmatisiert. Auf gesellschaftliche Stigmatisierung, insbesondere von Armutsbetroffenen, haben sowohl Expert:innen als auch Betroffene aus den Workshops hingewiesen. Stigmatisierung führt dazu, dass Mechanismen digitaler Exklusion, sofern sie mit Armut und fehlender Bildung (zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang) zu tun haben, im öffentlichen Bewusstsein und Diskurs wenig präsent sind.

Es stellt sich daher die Frage, ob ältere Menschen unter den drei Bevölkerungsgruppen tatsächlich den dringlichsten Unterstützungsbedarf haben. Wie in Kapitel 2 «Digitale Schweiz» ausgeführt, weisen Personen, die über 75 Jahre alt sind, mit 42 % zwar signifikant häufiger fehlende digitale Grundkompetenzen auf als jüngere Altersgruppen. Markanter ist aber die Differenz zwischen Personen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund: Während bei Personen mit Universitäts- oder Fachhochschul-Abschluss nur eine von zehn Personen fehlende Grundkompetenzen hat (13 %), sind es bei Menschen mit dem tiefsten Bildungsstand sechs von zehn (59 %). Auf einen ausgeprägten Chancenaspekt des digitalen Alltags für ältere Menschen weist ausserdem ein weiterer interessanter Befund hin: Personen, die über 75 Jahre alt sind, pflegen ihre sozialen Kontakte überdurchschnittlich häufig am liebsten über digitale Kanäle (z.B. über WhatsApp oder Facebook). Der digitale Raum gleicht hier, so unsere Interpretation, eingeschränkte Mobilität aus. Damit wirkt die Digitalisierung der Vereinsamung explizit entgegen und trägt – entgegen der weit verbreiteten Sorge – gar zur sozialen Inklusion bei. Der Faktor «Alter» führt demnach nicht per se zu digitaler Exklusion. Fehlende Bildung wirkt dahingegen deutlich ausgrenzender.

Eigenverantwortung: Nicht alle können sie wahrnehmen

Wem wird Verantwortung zugeschrieben, Menschen mit geringer digitaler Inklusion zu unterstützen? Der DigitalBarometer 2024 zeigt: Die Ansichten der Bevölkerung, der Expert:innen und der Betroffenen divergieren teilweise deutlich. In der quantitativen Umfrage sieht rund die Hälfte der Befragten (53 %) die Betroffenen und ihr privates Umfeld in der Verantwortung, sich selbst zu helfen. Werden die Befragten nach eigener (Armuts-)Betroffenheit unterteilt, sieht das Bild anders aus: Armutsgefährdete oder -betroffene Menschen sehen sich selbst und ihr Umfeld signifikant weniger häufig in der Verantwortung (37 %). Diese Tendenz zeigt sich auch bei Personen mit dem tiefstem Bildungsniveau. Dass die Bevölkerung den Betroffenen deutlich mehr Verantwortung zuschreibt, dürfte an gesellschaftlicher Stigmatisierung und dem fehlenden Wissen über die Lebensumstände Betroffener liegen.

Digitale Inklusion: Wer trägt die Verantwortung?
Meinung der Expert:innen: «Qualitative Daten aus Fokusgruppe»

Meinung der Bevölkerung

Meinung von Betroffenen: «Qualitative Daten aus Fokusgruppe»

In den zwei Workshops wurde deutlich, dass die individuellen und strukturellen Hürden zur Selbsthilfe bei von digitaler Exklusion betroffenen Menschen teilweise erheblich sind: Nach Unterstützung zu fragen, wenn man mit Applikationen des täglichen Gebrauchs (z.B. E-Banking oder Ticket-Apps des öffentlichen Verkehrs) nicht zurechtkommt, ist sehr schambehaftet. Betroffene schildern ausserdem, dass sie der Rückgang analoger Dienstleistungen sowie Gebühren für analoge Abwicklungen sehr belastet. Um sich digital weiterbilden zu können, braucht es ausserdem Zeit und Geld. Aufgrund prekärer Lebenssituationen fehlt den Betroffenen oft beides.

Einig sind sich die breite Bevölkerung und Betroffene, wenn es um die Verantwortung von Wirtschaft und Arbeitgebenden geht. Diese stehen mit 59 % bzw. 55 % bei beiden an erster Stelle. Es ist deshalb wichtig, die Wirtschaft bei der Formulierung von Massnahmen für digitale Inklusion mitzudenken – und wirtschaftliche Akteur:innen für ihre Hebelwirkung zu sensibilisieren, die sie bei der Stärkung digitaler Kompetenzen haben. Dass Erwerbstätigkeit beim Erwerb und Erhalt digitaler Kompetenzen eine entscheidende Rolle spielt, liegt auf der Hand: Wer ausserhalb des Erwerbslebens steht, hat weniger Adaptionsdruck und kann so rasch den Anschluss an die rasanten digitalen Transformationsprozesse verlieren. Die Daten des diesjährigen DigitalBarometers weisen auf solche Dynamiken hin: Personen, die hauptsächlich Haus- und Betreuungsarbeit leisten, Arbeitslose und Pensionierte weisen bei fehlenden digitalen Grundkompetenzen tendenziell höhere Werte auf als Erwerbstätige.

Eine Hebelwirkung hat auch die öffentliche Hand, wie ein weiteres interessantes Ergebnis vermuten lässt: Sämtliche Expert:innen schreiben ihr Verantwortung zu, Betroffene zu unterstützen. Bei der Bevölkerungsumfrage sind es nur knapp die Hälfte aller Personen (47 %). Dies könnte darauf hindeuten, dass sich die Expert:innen der entscheidenden Rolle von Behörden im Kontext digitaler Inklusion bewusst sind – wenn es beispielsweise darum geht, zivilgesellschaftliche Bildungsinitiativen (z.B. im Rahmen von Private-Public-Partnerships) finanziell zu unterstützen.

Bildung: Selbstermächtigung im rasanten digitalen Wandel

Die Bevölkerung, Expert:innen und Betroffene sind sich einig: Bildungsangebote spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um die Stärkung digitaler Grundkompetenzen geht. Doch wie müssen diese gestaltet sein, damit sie genutzt werden und Wirkung zeigen?

Die oben beschriebenen Hürden zur Selbsthilfe überwinden die Teilnehmenden des Betroffenen-Workshops, indem sie kostenfreie, niederschwellige und zeitlich flexible zivilgesellschaftliche Weiterbildungs- und Unterstützungsangebote besuchen. Eindrücklich beschreiben sie den zunehmenden digitalen Adaptionsdruck im Arbeitsalltag und im Privatleben sowie das Gefühl der Überforderung im rasanten digitalen Wandel. Aus diesen Faktoren ziehen sie die Motivation, ihre digitalen Kompetenzen zu stärken; und sich damit den digitalen Raum zur unabhängigen und selbstständigen Nutzung zu erschliessen. Die Angst vor wirtschaftlicher digitaler Exklusion (Arbeitsplatzverlust) bzw. die Hoffnung auf Inklusion (Umschulung, Zugang zu anderer Branche) war bei fast allen Workshop-Teilnehmenden präsent. Das zeigt sich auch in der Bevölkerungsumfrage: Während die Mehrheit der Bevölkerung Vereinsamung als grösste Gefahr digitaler Exklusion wahrnimmt, ist es unter den Menschen mit tiefstem Bildungsabschluss die mögliche Arbeitslosigkeit. Diese Sorge akzentuiert sich mit der Verbreitung KI-basierter Technologien: Drei Viertel der Menschen mit tiefstem Bildungsabschluss (74 %) machen sich Sorgen, dass sie ihren Arbeitsplatz wegen KI verlieren könnten. Gleichzeitig waren im Betroffenen-Workshop angesichts der Entwicklungen im Bereich KI-basierter Technologien Freude und Neugier zu spüren. Ein Teilnehmer brachte diese Stimmung auf den Punkt: «Hoffnungen und Ängste liegen eng beieinander.»

Fazit und Empfehlungen

Inklusion gehört zu einer demokratischen Schweiz, deren Zusammenhalt auf Grundwerten von Gleichheit und Chancengerechtigkeit fusst. Dies gilt für den analogen und den digitalen Raum gleichermassen. Der digitale Raum bietet einerseits neue Möglichkeiten der Inklusion, wenn es beispielsweise darum geht, Mobilitätsbehinderung älterer Menschen auszugleichen. Anwendungen und Geräte werden ausserdem in der Bedienung immer intuitiver. Das kann den Zugang insbesondere für Menschen mit tiefer Bildung erleichtern. Das heisst jedoch nicht, dass digitale Grundkompetenzen an Bedeutung verlieren werden, ganz im Gegenteil: Im Zeitalter von Falschinformationen, Manipulation und Deep-Fakes wird ein tiefgreifendes Verständnis der digitalen Welt immer wichtiger. Gerade das Verständnis von Datenschutz dürfte für Menschen, die sich zum Beispiel aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen in sensiblen Lebenslagen befinden, immer wichtiger werden. Andererseits besteht die Gefahr eines digitalen Exklusionsrisikos für Bevölkerungsgruppen, die aus verschiedenen Gründen auch im analogen Raum Mühe haben, am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Im digitalen Raum greifen andere Exklusionsmechanismen, die es zu verstehen gilt. Es ist deshalb wichtig, den spezifischen Herausforderungen des digitalen Raums Rechnung zu tragen und wirksame Hebel zu finden, um die digitale Inklusion von verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erreichen.

Der DigitalBarometer 2024 zeigt, dass in der Frage, wer Menschen mit einem hohen digitalen Exklusionsrisiko unterstützen soll, Uneinigkeit herrscht. Klar ist: Digitale Inklusion bedingt neben der Eigenverantwortung der Betroffenen den Einbezug und die Zusammenarbeit aller gesellschaftlicher und politischer Akteur:innen. Es braucht die Wirtschaft, die ihre digitalen Dienstleistungen auf verschiedene Kundenbedürfnisse und -kenntnisse ausrichtet. Die Politik und die öffentliche Verwaltung müssen Rahmenbedingungen schaffen, um digitale Inklusionsinitiativen finanziell zu unterstützen, Sensibilisierungsarbeit zu leisten und dafür zu sorgen, dass zentrale und lebenswichtige Dienstleistungen nicht nur digital, sondern auch analog zur Verfügung stehen – nach dem Prinzip «digital first» statt «digital only». Es braucht aber auch die Wissenschaft, die Exklusionsmechanismen erforscht und Lösungsansätze mit entwickelt. Auch Institutionen der Erwachsenenbildung sowie zivilgesellschaftliche Organisationen, die ihrerseits sensibilisieren und wertvolle niederschwellige Bildungsarbeit leisten, spielen eine wichtige Rolle. Und schliesslich brauchen wir eine sensibilisierte und solidarische Bevölkerung, die sich der Tatsache bewusst ist, dass Menschen aus dem digitalen Raum ausgeschlossen sind und die dementsprechenden politischen Massnahmen unterstützt. Dass digitale Exklusion nicht nur als individuelles, sondern als gesamtgesellschaftliches Risiko angegangen werden muss, hat eine breite Koalition aus verschiedenen gesellschaftlichen Akteur:innen erkannt: Unter der Federführung des Eidgenössischen Departements des Innern EDI werden sich verschiedene wirtschaftliche, zivilgesellschaftliche und staatliche Akteur:innen aller drei Staatsebenen im Herbst 2024 zu einer nationalen Allianz (Allianz Digitale Inklusion Schweiz ADIS) zusammenschliessen, um gemeinsam digitale Inklusion zu fördern.

Expert:innen-Check: Wir haben nachgefragt

Interview mit Prof. Dr. Frieder Loch, Professor für User-Centered Design an der Ostschweizer Fachhochschule

Wo finden sich die grössten Potenziale beim Einsatz von KI für vulnerable Menschen und Menschengruppen? Wo kann KI zu sozialer und/oder wirtschaftlicher Inklusion beitragen?

Ich sehe ein grosses Potenzial darin, die Möglichkeiten, die sich aus der Analyse von grossen Datenmengen ergeben, für alle zugänglicher zu machen. Die Möglichkeiten beginnen schon im Kleinen und im Alltag. So entwickeln wir z. B. eine KI-basierte Anwendung, die dabei hilft, eine ausgewogene Ernährung innerhalb eines Budgets zu planen und auf tagesaktuelle Angebote von Supermärkten und Discountern zurückzugreifen. So können auch bildungsferne oder von Armut betroffene Menschen eine gesunde Ernährung planen.

Auch der Umgang mit Behörden kann durch KI zugänglicher werden. Durch die Analyse von Reglementen können beispielsweise Chatbots trainiert werden, die die Arbeit der Behörden bei der Interaktion mit der Bevölkerung unterstützen. Solche Anwendungen können z. B. von Gemeinden kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Der Zugang zu solchen Anwendungen kann auch an öffentlichen Orten, zum Beispiel Ämtern oder Bibliotheken, durch Terminals ermöglicht werden.

Die Nutzung von KI-Technologien ist auch eine Frage von Bildung und Einkommen (fehlende Kompetenzen und/oder fehlender Zugang). Wie können wir als Gesellschaft sicherstellen, dass auch Menschen mit tiefer Bildung und geringem Einkommen von KI-Tools profitieren?

Bei der Entwicklung dieser Systeme verfolge ich stets einen menschzentrierten Ansatz. Dieser basiert auf der Idee des universellen Designs, das die Entwicklung von Systemen fordert, die von allen Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten genutzt werden können. Die Ergebnisse eines KI-basierten Systems und die Sicherheit seiner Schlussfolgerungen müssen verständlich kommuniziert werden, um nicht erneut Barrieren aufzubauen und vulnerable Gruppen, denen das Wissen über die Grenzen dieser Systeme und die Interpretationsbedürftigkeit der Ergebnisse fehlt, erneut zu benachteiligen. Hier besteht noch Forschungsbedarf, da jede Domäne ganz eigene Anforderungen stellt.

Ausserdem sind niederschwellige KI-Bildungsangebote unerlässlich. Die Angebote von öffentlichen Bibliotheken oder der Schule müssen entsprechend ergänzt werden.

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